Pfarramt: 06162 / 1864
Angedacht
„Wer innehält, erhält von innen Halt.“ Dieser Satz stammt von Lao Tse, einem chinesischen Philosophen, der im 6. Jahrhundert v. Chr. gelebt haben soll. Rund 2500 Jahre später inspirieren mich die Worte, sie Ihnen in den Sommer mitzugeben.
Sommerzeit ist Ferienzeit, das sind ein paar Wochen Auszeit für mich und meine Familie. Das heißt, die Arbeit einmal ruhen lassen, Themen- und Tapetenwechsel, Tage der inneren Einkehr und Betrachtung. Oder auch einfach mal nichts tun! Einfach? Nein, einfach ist das nicht! Wer nichts tut, gilt als faul. Das haben wir immer wieder eingetrichtert bekommen und verinnerlicht. Wenn ich im Garten „nur“ im Liegestuhl liege, mich von innen betrachte und mir die Sonne ins Gesicht scheinen lasse, dann sehe ich im Augenwinkel, dass da schon wieder Unkraut wächst. Und schon strecke ich meinen Arm aus und zupfe am Löwenzahn. Und der Rasen könnte auch mal wieder gemäht werden. Das plane ich in zwei Stunden zu tun, wenn die Sonne etwas untergegangen ist. Und die Gießkannen muss ich noch füllen und ein bisschen die Hecke schneiden… Und schon bin ich wieder in Bewegung und von mir und meiner Einkehr abgelenkt.
Warum fällt es mir so schwer, mich auf mich einzulassen und in mich hineinzuhören? Warum lasse ich mich so leicht von meinem eigenen Selbst ablenken? Und warum muss jede Minute inhaltlich genutzt sein, egal ob ich Urlaub habe oder nicht? Alles muss ausgefüllt sein und mit Sinn versehen. Die kostbare Zeit darf nicht vergeudet werden! Aber irgendwann verlieren wir den Halt und uns selbst im Gewirr, weil wir nicht mehr wissen wie es geht, auch auf uns zu achten und Seelenpflege zu betreiben.
„Wer inne hält, erhält von innen Halt!“
Ich erinnere mich an einen Künstler, der über die Aquarellmalerei erzählt hat, dass Licht nur da entsteht, wo man keine Farbe aufs Papier bringt. Die Lücken geben dem Bild Weite und bringen es zum Leuchten.
Und auch Melodien bekommen ihren Rhythmus durch wohlgesetzte Pausen. Lücken in der Kunst schaffen Raum. Pausen machen den Reiz in der Musik aus. Die unbesetzten Räume laden ein, hinzusehen und hinzuhören, etwas zu entdecken, aber auch Altes neu zu betrachten.
„Wer inne hält, erhält von innen Halt.“ Lao Tse war weise!
Wer eine Pause macht, kann betrachten, was er oder andere geschaffen haben, kann nachdenken, über das, was ihn hält, wird sensibel für alles Lebendige und schenkt sich selbst Raum für Begegnung: mit sich selbst, aber auch mit Gott. Gott kommt in all unserer Geschäftigkeit ja gar nicht mehr zu Wort. Dabei hat Gott das Pausemachen selbst vorgemacht. Am 7. Tag des Schöpfungszyklus hat Gott sich ausgeruht, einfach so! Das wurde mit keinem Wort begründet. Die Pause trägt ihren Sinn in sich und ist in der Schöpfungsfolge das höchste Werk. Und wir haben damit die Erlaubnis von ganz oben bekommen, es Gott gleich zu tun und immer mal wieder innezuhalten. Das ist wichtig, damit wir uns erholen, erden und den Halt nicht verlieren - alle sieben Tage am Sonntag und in den Sommerferien auch gerne mal ein bisschen länger, damit wir gesund bleiben! Genießen Sie Ihre Auszeiten und die ungefüllte Zeit, sie sind ein Geschenk des Himmels!
Ihr Pfarrer Joachim Kühnle
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